(uba) Im vergangenen Jahr wurde die Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter UBA 604 Mal kontaktiert. Sie übernahm 382 Konfliktfälle und 99 Fälle mit Gewaltthematik zur Bearbeitung. Die Anzahl vermuteter Misshandlungs-/Missbrauchsfälle stieg um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wie die Beschwerdestelle in einer Medienmitteilung schreibt.
Was im Privaten geschieht, bleibt in Krisen- oder Pandemiezeiten leider noch öfter verborgen. Die Locke-rung der corona-bedingten Bewegungseinschränkungen im letzten Jahr machten die Meldungen über Gewaltfälle durch Betroffene, Angehörige oder beobachtende Drittpersonen wieder vermehrt möglich. Nach wie vor ist Gewalt im Alter ein stark tabuisiertes Thema, das nur langsam in das Bewusstsein der Bevölkerung dringt.
Fälle von psychischer Misshandlung in der Mehrzahl
In 53 von insgesamt 99 Fällen waren die älteren Menschen von Misshandlung und Missbrauch betroffen. In der Mehrzahl waren es Frauen über 80 Jahre. Mehrheitlich erfuhren die Betroffenen psychische Miss-handlung, wie Demütigung, Drohung, Liebesentzug, zermürbende Kritik, tagelanges Schweigen oder massive Vorwürfe. Nicht immer geschieht die Misshandlung absichtlich, sie kann sogar mit guten Absich-ten geschehen, so zum Beispiel durch Überfürsorge. Die beachtliche Zahl von 46 Vernachlässigungen lässt aufhorchen. Misshandlungen oder Vernachlässigungen von Betagten geschehen oft in der Folge von Überforderung bei der Betreuung und Pflege durch Angehörige. Denn die häusliche Betagtenbetreu-ung ist nicht immer eine freiwillig gewählte Tätigkeit sondern einer Pflichterfüllung geschuldet. Sie wird im Verlaufe der Zeit meist zunehmend anspruchsvoller und wird oft ohne ausreichende Vorbereitung und Schulung ausgeführt.
Nicht immer eine Straftat
Nicht immer handelt es sich um eine akute Gewaltsituation, bei der ein Eingreifen der Polizei notwendig ist oder ein Straftatbestand vorliegt. Bei zunehmender Abhängigkeit, veränderten Machtverhältnissen sowie Überforderung in Paarverhältnissen und Eltern-Kind-Beziehungen kann sich psychische Misshand-lung schleichend entwickeln. In solchen Situationen ist die Möglichkeit, sich an eine niederschwellige Anlaufstelle zu wenden, wo vertrauliche Hilfe angefragt werden kann, von grosser Wichtigkeit. Je früher dies geschieht umso besser. Die Intervention erfordert von fallbearbeitenden Fachpersonen spezialisierte Kenntnisse über das Alter, altersbedingte Krankheitsbilder und über die verschiedenen Ausprägungen von Gewaltanwendung. Ein umsichtiges Vorgehen, um den Zugang zu den Betroffenen und Beteiligten zu finden, ist unerlässlich. Die UBA kann bei ihrer Arbeit meist einvernehmliche Lösungen erarbeiten. Sie ist somit gewalt- sowie kriminalpräventiv tätig und kann Leid lindern und Gewalteskalationen verhindern.
Gewalt an älteren Menschen ist eine Realität in der Schweiz. Mehr als 300'000 Personen sind in unserem Land jährlich davon betroffen, und das Dunkelfeld ist gross. Weniger als 5 Prozent der Fälle werden an Fachstellen gemeldet.
Vorhandene Konflikte verschärfen sich
Die UBA klärte, vermittelte und schlichtete in 382 Konfliktsituationen, wobei nebst den finanziellen vor allem die psychischen Probleme zunahmen. Auffallend viele ältere Menschen klagen über Ängste. Die UBA geht davon aus, dass die Corona-Zeit (Lockdown, Isolierung, Vereinsamung) und die allgemeine Weltlage einen Einfluss auf die psychische Gesundheit hat oder bereits vorhandene Konflikte verschärft.