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Kanton Aargau: Regierungsrat lehnt Systemwechsel in der Sozialhilfe ab – Überweisung der Botschaft über die Bemessung der Sozialhilfe an den Grossen Rat

(pd) Nur wer Sozialversicherungsbeiträge geleistet und Steuern bezahlt hat, sowie motiviert, engagiert und integrationswillig ist, soll die volle Sozialhilfe erhalten. Das fordern zwei Vorstösse aus dem Grossen Rat. Der Regierungsrat hat diese Forderungen geprüft und lehnt in seiner Botschaft an den Grossen Rat einen entsprechenden Systemwechsel in der Sozialhilfe ab. Der Nutzen dieses Systemwechsels ist fraglich, es bestehen rechtliche Bedenken und der erwartete Aufwand für Kanton und Gemeinden ist hoch.

In den Jahren 2017 und 2018 überwies der Grosse Rat zwei Postulate, die einen Systemwechsel in der Sozialhilfe fordern: Gemäss dem (17.157) Postulat "Sozialen Frieden in der Sozialhilfe bewahren" soll die Höhe der Sozialhilfe künftig davon abhängen, wie lange eine Person bereits Sozialversicherungsbeiträge geleistet und Steuern bezahlt hat. Mit diesem Vorgehen sollen ältere Arbeitslose in der Sozialhilfe besser behandelt werden als Personen, die in der Schweiz noch nicht gearbeitet haben.
Das (17.270) Postulat "Motivation statt Sanktion in der Sozialhilfe" fordert eine Abstufung je nach Engagement, Integrationswille und Motivation der sozialhilfebeziehenden Personen. Zu Beginn des Bezugs sollen alle bedürftigen Personen eine reduzierte Sozialhilfe erhalten, die 70 Prozent des heutigen Grundbedarfs entspricht. Integrationswillige, motivierte und engagierte Personen sollen zusätzlich eine Motivationsentschädigung erhalten, um Anspruch auf den heutigen Grundbedarf zu haben. Dadurch sollen positive Anreize zur Mitwirkung bei der Integration verstärkt und der administrative Aufwand reduziert werden.

Analyse unter Einbezug zahlreicher Akteure
Der Kantonale Sozialdienst des Departements Gesundheit und Soziales hat die beiden Postulate vertieft geprüft. Vertreter der Gemeinden, von Verbänden und der kantonalen Verwaltung haben sich im Rahmen von Begleitgremien aus unterschiedlichen Blickwinkeln in die Analyse eingebracht. Ausserdem wurden Interviews mit zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie eine Befragung der Gemeindesozialdienste durchgeführt. Diese einbezogenen Akteure sprechen sich mehrheitlich gegen die zur Diskussion stehenden Änderungen aus. Basierend auf der Analyse und den Rückmeldungen lehnt der Regierungsrat den in den beiden Postulaten geforderten Systemwechsel ab. Er ist der Ansicht, dass die Kosten und der Aufwand den Nutzen einer Umsetzung der Postulate überwiegen.

Tangierte Grundrechte und grosser Umsetzungsaufwand
Durch den geforderten Systemwechsel hätten die betroffenen Personen in der Sozialhilfe weniger Geld für den Lebensbedarf zur Verfügung. Dies könne ihre gesellschaftliche Teilhabe, ihre Gesundheit sowie ihre soziale und berufliche Integration beeinträchtigen. Der Regierungsrat zeigt in der Botschaft auf, dass durch eine Umsetzung der Postulate Widersprüche zum geltenden Recht entstehen können und dabei die in der Bundesverfassung und in internationalen Übereinkommen verankerten Grund- und Menschenrechte tangiert würden. Zahlreiche Ausnahme- und Sonderregelungen für spezifische Gruppen wie etwa Menschen mit Behinderung oder Flüchtlinge müssten berücksichtigt werden. Bei der Bemessung der Sozialhilfe würden neue rechtliche Unsicherheiten und Rechtsungleichheiten entstehen. Der Verwaltungsaufwand des Kantons und insbesondere der Gemeinden würde durch zusätzliche, komplexe Abklärungen in der Sozialhilfe erheblich erhöht.

Massnahmen mit ähnlicher Wirkung bereits umgesetzt
Seit der Einreichung der Postulate haben der Bund und der Kanton verschiedene Massnahmen mit einer ähnlichen Wirkung umgesetzt: Einerseits führte der Bund im Jahr 2021 Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose ein, um zu verhindern, dass sie sozialhilfeabhängig werden. Andererseits verschärfte der Bund die Regelungen zum Sozialhilfebezug durch Migranten: Diese schränken einen Sozialhilfebezug durch Migranten, die nicht erwerbstätig sind, ein. Ausserdem ist der Familiennachzug bei einem Sozialhilfebezug erschwert, und wer auf Sozialhilfe angewiesen ist, riskiert den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung beziehungsweise eine Rückstufung der Niederlassungsbewilligung auf eine Aufenthaltsbewilligung. Zudem revidierte der Kanton in den Jahren 2017 und 2018 das Sozialhilfe- und Präventionsgesetz beziehungsweise die dazugehörige Verordnung, unter anderem um unrechtmässige Leistungsbezüge in der Sozialhilfe besser zu unterbinden und positive Arbeitsanreize zu verstärken.
Der mögliche Nutzen des vorgeschlagenen Systemwechsels steht aus Sicht des Regierungsrats nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den erwarteten Kosten und Aufwendungen einer Umsetzung. Insgesamt ist es fraglich, ob der geforderte Systemwechsel überhaupt einen zusätzlichen Nutzen hätte. Der Regierungsrat beantragt dem Grossen Rat in seiner Botschaft, die Forderungen aus den Postulaten nicht umzusetzen.