Der Halbstundentakt zwischen Stein-Säckingen und Laufenburg ist abgelehnt. Die Aargauer Stimmbürger entschieden sich am Sonntag mit 47,55 Prozent Ja- gegen 52,45 Nein-Stimmen gegen die Verdichtung des Bahnangebots. Selbst in einigen Fricktal-Gemeinden – darunter auch Sisseln als direkte Sissler-Feld-Gemeinde – fand die Initiative keine Mehrheit. fricktal.info holte Stimmen der Befürworter und Gegner des Halbstundentakts ein.
JÖRN KERCKHOFF
Gertrud Häseli, Grossrätin der Grünen (Wittnau), hatte sich gegen den Halbstundentakt ausgesprochen. Sie reagierte nach der Auszählung der Stimmen erfreut: «Die Aargauer Stimmberechtigten haben die Chance genutzt, den parlamentarischen Sündenfall zu korrigieren. Der ausserordentlich finanzierte und bewilligte Bahnausbau Stein – Laufenburg wäre eine unangemessene Bevorzugung des Fricktals gegenüber anderen Aargauer Regionen gewesen. Die Selbstfinanzierung von 5% wäre beispiellos tief gewesen. Gerne erwähne ich, dass auch das TNW vom Kanton weit stärker mitfinanziert ist, als die Verbundabonnemente in den anderen Regionen des Aargaus (A-Welle). Die im Abstimmungskampf versprochene Verminderung des Autoverkehrs muss mit weiteren Massnahmen angegangen werden. Das versprochene Ziel der Verkehrsentlastung und Staubefreiung kann nur erreicht werden, wenn eine grenzüberschreitende Bahn- und Busin-frastruktur geplant und umgesetzt wird. Von Laufenburg bis Rheinfelden gibt es keine attraktiven Möglichkeiten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln grenzüberschreitend zu reisen. Den Halbstundentakt braucht es zwischen dem süddeutschen und dem Schweizer Bahnnetz. Weiter braucht es sichere und einfache Velovorzugsrouten, die den Veloverkehr gegenüber dem Autoverkehr bevorzugen.»
Genau entgegengesetzt dagegen die Gefühlslage von Roland Agustoni. Der ehemalige GLP-Grossrat aus Rheinfelden hatte das Thema Halbstundentakt 2017 mit einer Motion angestossen. Auf das Scheitern reagiert er folgendermassen: «Ich bedaure, dass die Solidarität, das wirtschaftliche und verkehrspolitische Verständnis und auch der dringliche Wunsch zweier Bezirke im Kanton nicht zum Tragen gekommen ist. Sämtliche Gemeinden beider Fricktaler Bezirke haben sich schriftlich hinter meine Motion gestellt. Auch die Repla Fricktal und die grosse Mehrheit des Grossen Rates sowie der Oberrheinrat haben die Umsetzung dieser Motion gefordert. Die vom Regierungsrat ablehnende Haltung, welchen er mit der Kostenkeule unermüdlich geführt hat, zeigte wohl, wenn auch unverständlich, ihre Wirkung. Eine ganze Region hat nun das Nachsehen und wird die künftigen entwicklungspolitischen Nachteile schmerzlich zu spüren bekommen. Statt Entwicklung und Staureduktion wird die Region nun beengt und eingeschränkt und kann so den heutigen und zukünftigen Bedürfnissen nicht mehr Rechnung tragen. Eine grosse Chance ist vertan und es bleibt abzuwarten, wie der Regierungsrat und seine FDP-Fraktion nun ihre Lösungen präsentieren und die entsprechende Verantwortung für die Region übernehmen werden. Ich, als Fricktaler, bin enttäuscht und werde wohl nie ein ‹Aargauer› werden.
Für Alfons P. Kaufmann, Die-Mitte-Fraktionspräsident und Mitglied des Ja-Komitees (Wallbach), ist die Ablehnung «eine verpasste Chance». Nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses erklärte Kaufmann: «Das Komitee ‹Ja zum Halbstundentakt Stein-Laufenburg› ist enttäuscht über das Ergebnis der Abstimmung zum Bahnverdichtungsangebot. Das Fricktal ist die Region mit dem grössten Wachstumspotenzial im Kanton Aargau. Im Sisslerfeld sollen tausende neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Von dieser prosperierenden Wirtschaft wird der ganze Kanton profitieren. Wir bedauern, dass wir dies einer Mehrheit der Bevölkerung nicht klar aufzeigen konnten.»
Sein Parteikollege Daniele Mezzi, Präsident Die Mitte Bezirk Laufenburg erklärt: «Ich bin über den Ausgang dieser Abstimmung enttäuscht. Trotzdem ist es ein demokratischer Entscheid, den man so akzeptieren muss. Diese Vorlage hätte nicht nur für das Fricktal, sondern eben auch für den ganzen Kanton einen Mehrwert schaffen können. Die Konsequenz daraus ist, dass das Fricktal viel länger warten muss, bis eine adequate Bahnlösung angeboten wird. Das ist schade und wird den Verkehr auf den Strassen zusätzlich mit Bussen belasten. Jetzt heisst es, vorwärts schauen und das Beste aus dieser Ausgangslage machen.
Ähnlich enttäuscht äussert sich auch Désirée Stutz, Fraktionspräsidentin der SVP (Möhlin): «Der Regierungsrat fordert in seinem Entwicklungsleitbild einen attraktiven Wohn- und Wirtschaftsstandort. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont er dies. Beim Entscheid der Umsetzung hat er sich wohl nicht mehr daran erinnert, die Vorlage zur Ablehnung empfohlen und den Willen des Fricktals missachtet. Das hat uns nicht geholfen.»
Colette Basler, Co-Fraktionspräsidentin der SP (Zeihen), ergänzt: «Für das ganze Ja-Komitee ist das Abstimmungsergebnis eine verpasste Chance. Hier hätte ein Zeichen für den öffentlichen Verkehr und für die Zukunft unserer Kinder gesetzt werden können. Verstopfte Strassen sind nicht attraktiv und die Busvariante ist es auch nicht. Das Komitee wartet nun auf die Gesamtverkehrsplanung Fricktal. Aufgrund dieser Ergebnisse wird das weitere Vorgehen besprochen. Lösungen müssen gefunden werden, denn die Stauproblematik wird sich in den nächsten Jahren akzentuieren.»
Béa Bieber, GLP-Grossrätin und ebenfalls Mitglied des Ja-Komitees (Rheinfelden), erklärt: «Die GLP Fricktal ist enttäuscht über das knappe Nein zur schnellen Umsetzung des nötigen und für die Region wichtigen Halbstunden-Takts Stein-Laufenburg. Was lange währt, wird endlich gut, dies hat heute leider nicht gestimmt. Die Motion von Roland Agustoni hat die Bedürfnisse eines verdichteten Bahnangebots der Regio-S-Bahn Stein-Säckingen/Laufenburg verlangt. Dies schon damals mit stichhaltigen und überzeugenden Argumenten. Diesen Argumenten ist nun das Aargauer Stimmvolk leider nicht gefolgt. Politisch breit abgestützt sah die Mehrheit der Aargauer Bevölkerung die Notwendigkeit dieses wichtigen ÖV-Ausbaus leider nicht. Bereits damals wusste man, dass das Sisslerfeld noch grosses Potenzial birgt, dies hat sich 2022 gleich zweimal bestätigt: Der Zuschlag an Stein für die Mittelschule Fricktal und der Landkauf durch den Kanton für die Ansiedelung von innovativem Gewerbe machen nun sofortiges Handeln auch im Bereich der Verkehrsplanung und -konzeption nötig. Der tägliche Leidensdruck durch grosses Verkehrsaufkommen im Fricktal nimmt zu.»