(im) Am 9. November sprach der zweifach promovierte katholische Theologe, Philosoph und Religionswissenschafter Professor Bernhard Uhde im reformierten Kirchgemeindehaus Möhlin über menschliches Verhalten angesichts von Krisen.
In den Krisen unserer Zeit hört man nicht selten, die Menschen sollten Ruhe und Gelassenheit bewahren trotz Pandemie, Krieg – auch in unserer Nähe – und Klimawandel, um nur die grössten Krisen zu nennen. Aber sind diese wirklich neu? Gab es nicht schon immer Kriege, gab es nicht die Pest in Europa, die einen Drittel der Bevölkerung in kurzer Zeit dahinraffte?
Der Klimawandel mag neu sein, aber Wetterkatastrophen gab es auch schon früher. Wie haben die Menschen darauf reagiert, was waren und sind die Antworten von Religion, Philosophie und Lebenskunst? Dazu gab der Freiburger Professor Uhde vor einem kleinen, aber interessierten Publikum eine Übersicht. Ein Zauberwort sei «Gelassenheit», um innere und äussere Haltung zu bewahren, um nicht von den Krisen überwältigt zu werden, sondern ihnen begegnen zu können. Doch was verstehen die Philosophen und die Religionen darunter?
«Gelassenheit» in Religionen und Philosophien
Das deutsche Wort «Gelassenheit» gewinnt im deutschen Sprachraum insbesondere in der christlichen Mystik des Meisters Eckhart (1260-1328) religiöse und spirituelle Bedeutung. Bei ihm bedeutet Gelassenheit ein Loslassen von der Welt, sogar vom eigenen Ich – und eine Hinwendung allein zu Gott, um frei von jeder Abhängigkeit werden zu können. Eine ähnliche Haltung finde sich auch in Philosophie und anderen Religionen, so der Religionswissenschafter. In der Kritik an solchen Haltungen werde die Lehre von «Gelassenheit» aber oftmals als Aufruf zur Passivität, als Vertröstung, als «Opium des Volks» (so Karl Marx) verstanden, um die bestehenden Verhältnisse nicht zu ändern.
Wie also gewinnt man Gelassenheit, ohne in Passivität, in Untätigkeit zu verfallen, und welchen Nutzen hat diese Gelassenheit? Bei Eckhard bedeutet Gelassenheit, ein Loslassen von der Welt, um sich ganz Gott zu überlassen. Dies im Bewusstsein, dass man in wenigen Jahren ohnehin nichts von der Welt mitnehmen kann. Dieses Loslassen müsse aber eingeübt werden. Es gelte, das eigene Ich zurückzunehmen, sich an Gott, statt an die vergängliche Welt zu hängen. Dies bedeute auch, das eigene Ich zu reduzieren im Sinne von «Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du».
Bei den Stoikern bedeutete Gelassenheit, sich selber nicht zu überschätzen, sondern die eigene Empfindlichkeiten zu reduzieren. Für sie war die Unerschütterlichkeit des Gemüts und die körperliche Beherrschung entscheidend. Für sie hiess Achtsamkeit zu begreifen, dass mir Krisen nichts antun können.
Anders ist es wiederum im Buddhismus. Gelassenheit oder Achtsamkeit bedeutet hier, darauf zu achten, was eine Sache in mir bewirkt. Das Ziel ist, vollkommen frei von Äusserlichkeiten zu werden, nichts auf mich wirken zu lassen, unerschütterlich zu sein. Für Buddhisten ist wichtig, dass es das eigene Ich nicht wirklich gibt, sodass man sich auch nicht daran hängen kann. Aus christlicher Sicht ist hier anzumerken, dass diese Haltung zur Passivität angesichts von Not führen kann.
Die innere Burg
Bernhard Uhde sagt dazu: «Es braucht eine gewisse innere Ruhe, damit man vernünftig und zielgerichtet handeln kann». Manchmal brauchen wir eine «innere Burg», in die wir uns zurückziehen können, um Kraft zu schöpfen. Und die Klarheit des Denkens neu zu gewinnen.
In einer längeren Fragerunde ging Professor Uhde konkreter darauf ein, wie Menschen in christlicher Haltung sich heute den vielfältigen Krisen und Herausforderungen stellen können. Oder ob man sich angesichts der Krisen und Nöte überhaupt noch freuen könne. Er verwies dabei auf das Beispiel des Kirchenvaters Augustin.
Dieser war absolut kein Verächter der Schönheiten und Freuden dieser Welt, weder vor noch seiner Bekehrung. Diese bewirkte dennoch bei ihm eine wesentliche Veränderung: Augustin habe vor seiner Hinwendung zu Gott das Schöne dieser Welt, die Musik, die Natur, den Körper in sich selbst gefunden. Danach habe er alles unter einen neuen Horizont gestellt, den Göttlichen.
Uhde ermutigte die Zuhörerinnen, sich nicht von den Nöten unterdrücken zu lassen, sondern ganz einfach dort zu helfen, wo es möglich ist.