Als Werner Fasolin vor 20 Jahren mit seiner Frau das alte Schaffner-Haus im Gipfer Unterdorf bezog, ahnte er noch nicht, dass er es in den kommenden Jahren mit einer stets wachsenden Vogelkolonie teilen würde. Dieses Jahr sind 15 Brutpaare mit der Aufzucht von 35 Jungvögeln beschäftigt. Da die Kolonie seit letztem Jahr in das Projekt «Mauerseglerkolonie-Entwicklung Oberes Baselbiet/Fricktal» der Vogelwarte Sempach einbezogen ist, werden die Jungvögel mit sämtlichen Daten erfasst und beringt. Vergangene Woche war der Beringungstermin, dem fricktal.info beiwohnen durfte.
SONJA FASLER HÜBNER
An der nach Osten zugewandten Giebel-Fassade des stattlichen Gebäudes, dessen älteste Teile aus dem Jahr 1582 stammen, geht es zu wie im Taubenschlag. Allerdings registriert nur der aufmerksame Beobachter das ständige Kommen und Gehen der flinken Vögel. So schnell und lautlos ist ihr An- und Abflug. Zielgenau visieren sie ihr Nest an und fliegen in atemberaubendem Tempo durch den schmalen Schlitz in der Fassade. Werner Fasolin hat für die Vögel eigens die Fenster ausgehängt und diese sowie auch die früheren Rauchabzüge ganz oben im Giebel mit geschlitzten Elementen versehen. Durch diese gelangen die Vögel direkt in die Nistkästen. Diese hat der seit acht Jahren pensionierte Lehrer, der unter anderem auch Werken unterrichtete, selbst gezimmert. Das System ist ausgeklügelt bis ins Detail und wird von Jahr zu Jahr noch optimiert. Die Nistkästen befinden sich im oberen Teil des Hauses und führen in den nicht ausgebauten Dachstock. Darum störe es auch niemanden, wenn es nicht sonderlich hell sei da oben.
Die Kolonie wächst
Jeder Nistkasten ist innen mit einem Schieber versehen. So kann Werner Fasolin jederzeit die Nester und deren Inhalt kontrollieren. Jeder Nistkasten trägt eine Nummer, damit der Hobby-Ornithologe, der seit Jahren Mitglied des Natur- und Vogelschutzvereins Gipf-Oberfrick ist, fein säuberlich aufschreiben kann, welches Nest von wie vielen Jungvögeln bewohnt ist und wie sich diese entwickeln. Von insgesamt 19 Nestern sind deren 15 besetzt. «Die Kolonie wächst von Jahr zu Jahr», freut sich Werner Fasolin, dessen Faszination für die Mauersegler bereits in der Schulzeit begann. In der Bezirksschule in Lenzburg hatte er einen Lehrer, der sich mit der aussergewöhnlichen Vogelart näher befasste. Grundsätzlich interessierten ihn aber alle Haus- und Gartenvögel, verrät Werner Fasolin, der rund um sein Haus auch noch Mehlschwalben – er hat 19 Kunstnester unterm Dach – Distelfinken, Meisen, Spatzen und Amseln Nistgelegenheiten bietet.Die ersten Mauersegler hat Werner Fasolin dieses Jahr am 26. April festgestellt. So ruhig wie jetzt sind die Vögel nicht, wenn es darum geht, ein Nest zu beziehen. Während sie ihre Machtkämpfe austragen, lassen sie nämlich ihre durchdringenden «srieh-srieh»-Rufe ertönen, welche ihnen auch den Namen «Spyren» eingetragen haben. In der deutschsprachigen Schweiz und im süddeutschen Raum werden sie noch heute im Volksmund so genannt. Laien könnten sie aufgrund ihres Flugstils und der sichelartigen Flügel auch mit den Schwalben verwechseln. Allerdings sind die Mauersegler ein ganzes Stück grösser und noch fluggewandter. Die Vögel kommen ausschliesslich zum Brüten in unsere Gefilde. Den Rest des Jahres verbringen sie in Afrika, vom Norden bis hinunter nach Südafrika halten sie sich auf. In der Schweiz gelten die Flugkünstler als «potenziell gefährdet» und werden auf der Roten Liste geführt.
Schlafen im Flug
Besonders faszinierend ist der Umstand, dass sich bei den Mauerseglern das ganze Leben im Flug abspielt. Sogar der Schlaf. Dazu steigen die Flugakrobaten des Nachts bis auf eine Höhe von 3000 Meter hoch, um dort – ähnlich wie die Delphine – eine Hirnhälfte auszuschalten. Werden sie durch Winde abgetrieben, haben sie jeweils grosse Strecken zurückzulegen, um frühmorgens wieder bei ihren Nestern zu sein – für die Langstreckenspezialisten aber offenbar kein Problem.
Von Kleinstinsekten, dem sogenannten Luftplankton, bis zu Wildbienen, geflügelten Ameisen oder grösseren Fliegen ist den Vögeln alles recht, um ihren Nachwuchs zu füttern. Aus den Insekten bilden sie eine Kugel, die sie ihren hungrigen Sprösslingen in den Schnabel schieben.
Ein Gelege umfasst ein bis drei, selten auch mal vier Eier. Die ersten Jungen sind in Werner Fasolins Kolonie am 12. Juni geschlüpft. «Aufgrund der nasskühlen Witterung relativ spät», stellt er fest. Von da an ging es aber Schlag auf Schlag. Inzwischen ziehen 15 Paare 35 Junge auf. Diese variieren in Grösse und Gewicht aber recht stark. Manchmal kommt es auch vor, dass ein Jungtier stirbt, weil es einfach zu schwach ist. Trotz des Regenwetters sind die Mauersegler offenbar gute Jäger und haben genügend Insekten gefunden.Flugstunden? Fehlanzeige!
Sogar der kleinste Jungvogel wog letzte Woche bereits 26 Gramm. Ein ausgewachsener Vogel bringt 36 bis 50 Gramm auf die Waage. Da die Jungvögel teilweise bis über 60 Gramm wiegen, verlassen die Eltern ihren Nachwuchs vorzeitig. Das zwingt die Jungen, zum einen ihre Muskeln zu trainieren, indem sie fleissig flattern, und zum anderen zum Abspecken, um das ideale Fluggewicht zu erreichen. Schliesslich muss das mit dem Fliegen auf Anhieb klappen.
Inzwischen ist Ueli Schaffner zum Beringen eingetroffen. Der versierte Ornithologe aus Gelterkinden ist schon seit 18 Jahren jedes Frühjahr in dieser Mission unterwegs – auch zum Beringen anderer Vogelarten. Doch kurz vor der vereinbarten Zeit hatte er Werner Fasolin angerufen, um ihm mitzuteilen, dass er sich wohl verspäten werde, weil ihm unverhofft fünf junge Fledermausfindlinge in Obhut gebracht wurden. Der Ornithologe ist nämlich nicht nur auf Vögel spezialisiert, sondern hat auch noch eine Ausbildung zum Fledermausspezialisten absolviert. Bis die fünf Winzlinge wieder gefüttert werden, sind nach seinem Eintreffen in Gipf-Oberfrick jetzt aber erst die jungen Mauersegler an der Reihe.Beringen, ausmessen, wägen
Ausgerüstet mit den Ringen, Zange, Massstab, Waage und Stoffbeutel macht er sich ruhig ohne lange Umschweife ans Werk. Den Beutel braucht er, um die Jungvögel vom Nest zum provisorisch errichteten Tisch zu tragen. Der Vogelkundler macht sich mit einer Ruhe und Sicherheit ans Werk, die breites Fachwissen und Routine erahnen lassen. Jeder Handgriff sitzt. Ein Beinchen der Mauerseglerkinder wird mit einem Metallring versehen, der eine Nummer trägt. Dann werden sie gewogen und vermessen. Die Flügelmasse und die Länge der zweiten Flugfeder sind dabei relevant. Das Geschlecht zu bestimmen ist in diesem Alter unmöglich. Die Kleinen lassen alles erstaunlich ruhig über sich ergehen, nur selten gibt ein Piepmatz ein paar Laute von sich. Alle Daten trägt Ueli Schaffner fein säuberlich in eine Tabelle ein. Die Vorarbeit, die Werner Fasolin bereits geleistet hat, ist dazu hilfreich. Anhand der registrierten Angaben können die Vögel in den kommenden Jahren immer wieder zugeordnet werden. Und ihr Alter kann bestimmt werden. Dank der Datenerfassung weiss man inzwischen, dass Mauersegler bis zu 20 Jahre alt werden können. Erfreut stellt Ueli Schaffner fest, dass nur wenige der Jungvögel von Parasiten, vor allem der Lausfliege, befallen sind. Es zahle sich aus, die Nistkästen jedes Jahr sauber zu reinigen, weiss Werner Fasolin aus seiner langjährigen Erfahrung. Tut man dies nicht, können die Eier der Parasiten in den alten Nestern den Winter überdauern und im Frühjahr die Brut befallen.
Nach etwas mehr als eineinhalb Stunden sind alle 35 Jungvögel und sogar ein Vater, der sich gerade zufällig im Nest befand, beringt und vermessen. Die ersten Jungvögel werden wohl schon in der kommenden Woche flügge, vermutet der Ornithologe. Durchschnittlich ist das 42 Tage nach dem Schlüpfen der Fall. Aber bei der unterschiedlichen Grösse der jungen Mauersegler wird dies gestaffelt von stattengehen. Irgendwo werden sie sich dann einem Schwarm anschliessen und gemeinsam gen Süden ziehen. Spätestens Mitte August wird also wieder Ruhe einkehren im Dachstock der Fasolins. Aber die Chance ist gross, dass auch einige der Jungvögel dereinst in Gipf-Oberfrick ihren Nachwuchs aufziehen werden. Ab dem dritten Altersjahr sind die Mauersegler geschlechtsreif. Und dank innerem Kompass zieht es die Vögel immer wieder in dieselbe Region zurück.Australische Katzenmilch für die Fledermauskinder
Inzwischen hat der Ornithologe das Feld im Dachstock geräumt und die Mauersegler haben wieder ihre Ruhe. Nun kommen die nächsten Schützlinge von Ueli Schaffner an die Reihe, die Fledermäuse. Diese harren in einer Kiste aus, die mit einer Wärmflasche versehen ist. Darauf liegen ein paar Frottéewaschlappen, die nicht im Geringsten darauf hindeuten, dass da noch etwas drin ist. Ist schon zuvor aufgefallen, mit welchem Geschick Ueli Schaffner mit seinen grossen Händen die filigranen Vögel in Händen hielt, erstaunt es jetzt noch mehr, mit welchem Geschick er die Minifledermäuschen in die Faust nimmt, um sie mit einer Pipette zu füttern. Welcher Fledermausart die Kleinen angehören – in der Schweiz kommen immerhin deren 28 vor – weiss Ueli Schaffner noch nicht. Gefüttert werden sie aber in den ersten Tagen mit Katzenmilch, und zwar mit australischer, wie der Fledermausspezialist seinen erstaunten Zuhörern verrät. Früher habe man europäische Katzenmilch verwendet und irgendwann festgestellt, dass die Fledermäuse deformierte Extremitäten entwickeln, die darauf zurückzuführen sind. An einem internationalen Kongress stellte sich heraus, dass die australischen Kollegen dieses Problem nicht kennen. Seither beziehen die hiesigen Fledermausauffangstationen die Katzenmilch aus Australien. Beim kleinsten der fünf Winzlinge, der kaum grösser als ein Daumennagel ist, ist die Haut am Bauch noch so durchsichtig, dass man das Weiss der Milch durchschimmern sieht. Um die Verdauung anzuregen, streicht Ueli Schaffner ein paar Mal zart mit einem Pinsel übers Bäuchlein, bevor es wieder zurück in den Waschlappen und in die Kiste geht, um in zwei Stunden die nächste Mahlzeit zu empfangen.
Wenn sie etwas grösser sind, erhalten die Fledermauskinder zerdrückte Mehlwürmer. Bleibt zu hoffen, dass sie durchhalten. Immerhin sind alle Fledermausarten in der Schweiz vom Aussterben bedroht. Und die derzeitigen Witterungsverhältnisse lassen den Fledermausmüttern kaum eine Chance, nachts genügend Insekten für ihren Nachwuchs zu finden. Darum gibt es dieses Jahr besonders viele Findlinge. Erst als auch der letzte Winzling wieder wohlbehalten verstaut ist, gönnt sich Ueli Schaffner einen Kaffee, bevor die nächste Mission ruft – alles ehrenamtlich versteht sich.
Bilder (von oben nach unten):
- Ueli Schaffner (links) versieht die Jungvögel mit einem Ring, während ihm Werner Fasolin assistiert.
- Am Ostgiebel des Schaffnerhauses herrscht reger Flugbetrieb.
- Die Mauersegler entwickeln sich in rasantem Tempo: die frisch geschlüpften Küken Mitte Juni, die beinahe ausgewachsenen Jungvögel vergangene Woche.
- Der Futterballen aus Insekten ist so gross wie ein Ei.
- Werner Fasolin zeigt drei interessierten Jungs aus der Nachbarschaft, wie er von innen die Nester inspizieren kann.
- Nicht viel grösser als ein Dauemennagel: Der Fledermauswinzling muss mit Katzenmilch aufgezogen werden.
Fotos: Werner Fasolin/Sonja Fasler Hübner
Foto: Sonja Fasler Hübner