Prognosen in der derzeitigen Wirtschaftlage sind ein schwieriges Unterfangen, das musste auch Martin Neff, seit 2013 Chefökonom der Raiffeisen-Gruppe, bei seinem Vortrag zugeben, zu welchem die Raiffeisenbank Regio Frick-Mettauertal eingeladen hatte. Er sprach zum Thema «Zins- und Zeitenwende, zurück zur Normalität?» und berichtete in diesem Zusammenhang von guten Neuigkeiten, aber auch von Risiken zuhauf.
SONJA FASLER HÜBNER
Rund 300 Personen waren auf Einladung der Raiffeisenbank ins Zirkuszelt auf dem Fricker Ebnet gekommen, um den Einschätzungen zur Wirtschaftentwicklung des bekannten Finanzexperten zu lauschen. «Wir hatten die letzten drei Jahre auch in der Wirtschaft- und Finanzwelt immer etwas April-Wetter», sagte Neff einleitend in Anspielung auf den Regenschauer, der gerade heftig aufs Zeltdach prasselte. Corona-Pandemie, Rohstoff-Preisschock und Ukrainie-Krieg hätten bekanntermassen dazu beigetragen. «Die Zinswende haben mittlerweile alle gespürt», mutmasste er. «Sei es im Positiven, weil es wieder etwas Zins für das Ersparte gibt, oder als Schock beim Abschluss der neuen Hypothek.»
Aber er relativierte auch: Seit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers vor 15 Jahren sei das Zinsgeschäft völlig aus dem Ruder gelaufen. Das hätte seither leider die 20 Prozent der Bevölkerung, deren Einkommen an oder unter der Armutsgrenze liege, ärmer gemacht, und die reichsten 20 Prozent dafür um ein Vielfaches reicher. So gesehen, sei man jetzt sogar eher ein Stück weit zurück zur Normalität zurückgekehrt.
In seiner Analyse über die wirtschaftlichen Ereignisse der letzten Jahre erklärte Neff, wie es zu den jetzigen Entwicklungen gekommen sei. «Die Pandemie hat die Lieferketten durcheinandergewirbelt und das Angebot eingeschränkt. Die überaus grosszügigen staatlichen Hilfen haben gleichzeitig die Nachfrage boomen lassen.» Der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiekrise hätten in Europa zu einem krassen Energiepreisschock geführt und den Preisdruck nochmals verstärkt. Rasche Anpassungen beim Energieverbrauch in der Industrie und bei den Energielieferanten hätten zusammen mit dem milden Winter aber eine Energiemangellage verhindert. «Mit noch gut gefüllten Lagern stehen zudem die Chancen gut, dass es auch im nächsten Winter keine Engpässe geben wird», prognostiziert Neff. Nach Energiepreis- und Produzentenpreisschock scheine das «Schlimmste» also vorerst überstanden zu sein.
Schweiz ist mit blauem Auge davongekommen
«Die verzögerten Zweitrundeneffekte bei anderen Gütern und Dienstleistungen dürften im Jahresverlauf geringer ausfallen bzw. sich teilweise sogar umkehren», so Neff.
Der Trend in Sachen Energiepreise könne auch wieder drehen, etwa wenn ein globaler Bieterkampf um Flüssiggas losgetreten würde.
In Sachen Inflation sei die Schweiz mit einem blauen Auge davongekommen, habe diese doch nie mehr als fünf Prozent betragen. Harmlos, wenn man die Raten im EU-Raum oder gar in den USA sehe. Der Schweiz komme im wesentlichenzugute, dass sie in Bezug auf die Energiekosten weniger anfällig sei.
Die grosse Inflationswelle scheine endlich gebrochen zu sein, machte Neff deutlich. «Bis wann die Teuerung aber wieder unter das Notenbankziel von 2% fällt, ist je nach Land differenziert zu beurteilen. Die Geldhüter müssen die Geldpolitik weiter straff halten, bis mehr Klarheit besteht.»
Unheil droht aus den USA
Gleichzeitig kühle sich die globale Konjunktur weiter ab. Die Öffnung Chinas bringe nicht den erhofften Schwung, und in den USA und der Eurozone wirkten sich die bisherigen Zinserhöhungen vermehrt negativ auf den Kreditmarkt aus. «Auch die Turbulenzen im US-Bankensektor sorgen für Gewitterwolken am Konjunkturhimmel. Der Trigger sind letztlich die USA. Die dortige Zinsinversion verheisst nichts Gutes und die Gefahren einer
erneuten Finanzkrise und/oder einer Rezession haben klar zugenommen. Auch die Konsumentenstimmung kühlt sich spürbar ab», warnte der Finanzexperte, der zugab, das Prognosen eigentlich nichts anderes als Kaffeesatzlesen seien und auch er selbst in 80 Prozent der Fälle falsch liege, wie er freimütig zugab.
Auch in Sachen Zinsen bei den Hypotheken gibt es laut Neff kein allgemein gültiges Rezept. Wie sich aber gezeigt habe, fahre man mit eine SARON-Hypothek im langjährigen Vergleich wesentlich günstiger als mit einer Festhypothek.
Eine Frage aus dem Publikum stiess im Anschluss auf besonderes Interesse: «Wäre eine Abschwächung der Konkunktur nicht sogar wünschenswert?» Exorbitantes Wachstum sei tatsächlich nicht von Vorteil, so der Referent, der allerdings zu bedenken gab, dass bei einer Stagnation Konflikte entstünden, nicht zuletzt bei den Steuereinahmen, was entsprechende Auswirkungen mit sich bringen würde.
Auf «Abschieds-Tournee»
Martin Neff befindet sich zurzeit auf einer Art «Abschieds-Tournee», geht er als Chefökonom doch per 1. Juli in Rente. Er werde aber nicht völlig in der Versenkung verschwinden, gab er zu, sondern unter andererm im Verwaltungsrat einer Immobilienfirma Einsitz nehmen, in einem Start-up für die Entwicklung einer neuen App mitwirken und sich mehr seinem Hund widmen.
Wie Gastgeber Marc Jäger, Vorsitzender der Bankleitung, abschliessend riet, solle man sein Geld, wenn man denn welches habe, anlegen, wenn möglich natürlich bei der Raiffeisenbank. Beim anschliessenden Apéro wurde noch weiter fleissig gefachsimpelt.